29.4.1998

Konrad Maurer und Island - München (þýska)

Kulturminister,
am 29. April 1998 auf dem Alten Südfriedhof in München anläßlich der Errichtung eines Gedenksteins für Konrad Maurer (1823-1902).

Konrad Maurer und Island

Es ist mir eine besondere Freude, hier zu dieser Stunde und an diesem Ort die Gelegenheit zu haben, das Andenken an Konrad Maurer zu ehren.

Seit langem kommt er mir und anderen Isländern in den Sinn, wenn wir an unseren Selbständigkeitskampf im letzten Jahrhundert denken oder an die Bewahrung isländischer Volksmärchen und kulturellen Erbes. Nur wenige ausländische Gelehrte verdienen es in dem Mass wie Konrad Maurer, dass die Isländer ihr Andenken ehren.

Fast auf den Tag genau vor 140 Jahren, am 27. April 1858, 6 Uhr abends, lief das kleine Dampfschiff "Victor Emmanuel" in die Bucht von Reykjavík ein. An Bord des Damp-fers befand sich ein junger Mann aus München, gerade 35 Jahre alt, mit Namen Konrad Maurer. Er war zu dieser Zeit schon seit elf Jahren Professor an der dortigen Universität und in Island keineswegs ein Unbekannter. Er blieb knapp zwei Monate in Reykjavík und brach dann zu einem Ritt durch einen großen Teil Islands auf, der beinahe drei Monate dauerte. Mitte September kam er nach Reykjavík zurück, einen Monat später verließ er das Land wieder. Diese Reise sollten den deutschen Wissenschaftler nicht nur für sein ganzes Leben prägen, sie hatte auch für Island grosse Bedeutung.

Im Oktober 1856 schrieb Konrad Maurer einen großen Artikel in der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" unter dem Titel "Island und das dänische Grundgesetz". Da bestärkte er nachdrücklich die isländischen Argumente und kam zu dem Schluß, daß die staatsrechtliche Selbständigkeit Islands von Dänemark zu Recht begründet sei.

Für Island war dieser Aufsatz sehr wichtig. Denn hier hatte sich ein junger, durch seine bisherigen Forschungen schon bekannter und anerkannter, über den beiden streitenden Parteien stehender Wissenschaftler ganz eindeutig für die isländische Sache engagiert. Die Arbeit wurde alsbald ins Isländische übersetzt und erschien wenig später in einer verbreiteten isländischen Zeitschrift und begründete so das hohe Ansehen, das Maurer fortan bei vielen Isländern genoss. Er beherrschte das Altisländische und war bereits damals ein hervorragender Kenner der altisländischen Literatur, von Rechtstexten, historischen Schriften und den Sagas.

Als Maurer im April 1858 nach Island kam, wurde er von vielen als ein Freund Islands begrüßt, denn man wußte, wie er sich für Islands Sache eingesetzt hatte. "Sein Wissen und sein Gedächtnis in Bezug auf unsere Ge-schichte und Gesetzgebung ist derart überragend, daß wir glauben, nur sehr wenige von unse-ren eigenen Gelehrten können ihm gleichgestellt werden", schrieb eine isländische Zeitung [Nordri], und sie forderte "alle guten Menschen hierzulande" auf, "diesem ehrwürdigen Mann alle Herzlichkeit und Gastfreundschaft zu erweisen, die er so von uns verdient hat, weil er unser Land und unser Volk liebt." Und über sein Isländisch schreibt das Blatt: "Es ist er-staunlich, wie gut er Isländisch spricht, und es ist bemerkenswert, daß er weithin ein schöne-res Isländisch spricht als wir selbst, denn er hat die Sprache von den Sagas gelernt."

Maurer arbeitete nach seiner Rückkehr an einer großen Reisebeschreibung, die "mehr als vorübergehenden Wert haben sollte", und die Isländer versprachen sich viel davon. Jón Sigurðsson, der bedeutendste Vorkämpfer dieser Jahre für Islands Selbständigkeit, machte sogar den Vorschlag, den Bericht zugleich in islän-discher und deutscher Sprache zu veröffentlichen, wobei er selbst die Übersetzung übernehmen wollte. Aber daraus wurde nichts. Maurer arbeitete bis mindestens 1886 an dem Werk (aus diesem Jahr stammt das jüngste zitierte Buch), zahlreiche Quellenwerke wurden eingearbeitet, aber er kam zu keinem Ende. Das Buch ist nie erschienen, das Manuskript war verschollen und vergessen. Es ist besonders günstigen Umständen zu verdanken, daß die Handschrift vor mehr als zwan-zig Jahren gerade hier von München aus nach längerer Suche wieder ausfindig gemacht wer-den konnte. Sie war im Besitz eines inzwischen verstorbenen Enkel Konrad Maurers, der ebenfalls Konrad Maurer hieß und das Manuskript seines Großvaters dem Münchener Nordi-sten Kurt Schier zur freien Auswertung überließ. Ich freue mich besonders, daß die Sohne dieses Mannes, Konrad Maurers Urenkel also, heute hier anwesend sein kann und auch deren Kinder. Was für ein großes Geschenk diese Reisebeschreibung für Island war, zeigte sich vollends erst im ver-gan-genen Jahr, als es die isländische Gesellschaft Ferðafélag Íslands auf sich nahm, zum ersten Mal eine vollständige Übersetzung von Baldur Hafstað des Buches herauszubringen.

Das Buch spiegelt das islän-dische Leben im 19. Jahrhundert mit einer gerade für isländische Leser faszinierenden Ge-nauigkeit; kein anderes Werk aus dieser Zeit vermag dies in ähnlicher Weise. Konrad Maurer schildert die Menschen, mit denen er zusammentraf, Pfarrer und Amtsleute und Lehrer und Bauern, er beschreibt ihre Tätig-keit, ihr Alltagsleben, und er spricht mit ihnen über ihre Interessen und über die Situation des Landes. Er sieht, wie es in der Regel sonst nur Isländer vermögen, Land und Landschaft, Höfe und andere Örtlichkeiten immer in Verbindung mit der Ge-schichte, er mißt die Aussagen der Sagas an den topographischen Realitäten und ent-wickelt von da aus seine Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit der Sagas. Er bringt Tage damit zu, sich von den Amtsleuten alle Details ihrer Verwaltungsarbeit und Buchführung erklären zu lassen, und es gelingt ihm während dieser Reise, zahl-reiche Märchen und Sagen zu sammeln und niederzuschreiben. Viele der heutigen Isländer erkennen in den Menschen, mit denen Maurer zusammentraf und mit denen er sprach, ihre eigenen Vorfahren wieder. Dieses Buch ist ein Spiegel, in dem viele Isländer sich selbst, ihr Land und seine Geschichte getreulich abgebildet sehen. Dies war einer der Gründe, weshalb Fer Pafélag Íslands nun auch diesen Gedenkstein aus isländischen Basaltsäulen im Namen des isländischen Volkes gestiftet hat.

Diese Reise Maurers bildete nur den Anfang seines jahrzehntelangen Einsatzes für Island und sein Wirken für die Sammlung und Edition isländischer Volkssagen und Märchen. Maurer sammelte während seines Rittes durch Island selbst seine Fülle von Sagen und Märchen und veröffentliche sie bald nach seiner Heimkehr nach Deutschland.

Ich habe versucht, an einigen Beispielen zu zeigen, was Island Konrad Maurer ver-dankt: er war ein tatkräftiger Verfechter der Unabhängigkeit Islands, ein treuer Freund und wichtiger Ge-sprächspartner für Jón Sigur Pssons. Er war ein Mann, ohne den eine so große Sammlung isländischer Volks-erzählungen wahrscheinlich sehr viel später oder gar niemals entstanden wäre. Er war ein Kenner Islands, seiner Kultur, Literatur und Geschichte, der wie kein anderer die Isländer und die isländische Denk- und Lebensweise verstand. Er war alles andere als ein Schönredner und scheute sich auch nicht, Kritisches über Island zu sagen, wo ihm das gerechtfertigt erschien. Er hat in einem Maß, das wir überhaupt nicht recht abschätzen können, in Deutschland dazu beigetragen, Kenntnisse über Island zu vermitteln und Verständnis für Island zu wecken. Die Möglichkeiten kulturellen Austausches lagen ihm immer besonders am Herzen; er bemühte sich ständig, bessere Voraussetzungen für ein Studium des Islän-dischen in Deutschland zu schaffen - dies zu einer Zeit, als an eine Professur für Nordistik oder auch nur ein Lektorat für Isländisch noch lange nicht zu denken war, als es sogar noch an Lehrbüchern, Grammatiken und Wörterbüchern mangelte. Er sah sehr klar, welche Chancen für ein gegenseitiges Verständnis in der Begegnung der Völker lag.

Maurers begünstigender Einfluss auf die isländische Kultur ist nicht auf Deutschland beschränkt. Er steigerte das Selbstvertrauen der Isländer und schärfte das Selbstbewusstsein der Nation. Kürzlich habe ich erfahren, dass sich sein Einfluss auch an der Westküste Amerikas niederschlug, genauer an der University of California in Los Angeles. Der Nordistik-Professor Jesse Byock sagte mir, dass er sich bei seinen Forschungen auf Maurers Bibliothek stützt, die von der Fakultät anfangs unseres Jahrhundert angekauft oder ihr gestiftet wurde. Byock verfasst gerade ein Lehrbuch des Isländischen und zum Verständnis der Sagas in Englisch. Maurers Einfluss und Erbe zu unseren Gunsten hat also viele Erscheinungsbilder.

Wir sind heute hier zusammengekommen um das Andenken dieses grossen und einzigartigen Island freundes zu ehren. Sein andenken und seine Werke mögen lange leben.

Dieses Denkmal aus drei isländischen Basaltsäulen, unbehauen, unverschönt, so wie sie gewachsen sind, ist eine Gabe von Ferðafélag Íslands im Namen des ganzen isländischen Volkes. Dieser Stein soll auch hier das Andenken an Konrad Maurer wachhalten, wie es der isländische Text ausdrückt: Barutryðjandi á sviði norrænna fornfræða, frumkvöðull í frelsisbaráttu Íslendinga, velgjörðarmaður Íslands.